Januar - April
2018
Angefleht vom nächsten Kick:
„Bitte spring! Nur noch die Hürde.“
Mach ich gleich, wart, Augenblick –
Wohin sprang die Menschenwürde?
Silvester
Der Tag, an dem die Herzen brechen,
wie stolz er jedes Jahr erscheint.
Kein Lachen unterdrückt das Stechen,
das alle tief im Schmerz vereint.
Authentisch in Bewusstseinsmassen
war ich das brave Arbeitstier,
doch heute darf ich mich verlassen,
mit Sekt und Wein, Raclette und Bier.
Der Alkohol erstickt das Murren
der jetzt erneut versäumten Chance.
Erstickt den Atem und sein Knurren,
der Schein bewahrt die Contenance.
Es knallt, die Böller seh‘ ich fliegen,
in einer dunklen schweren Nacht.
Die Wiederholung wird nie siegen,
die nächste Runde ist vollbracht.
Verrückt der Müll, die vielen Flaschen,
ein Prost begrüßt das neue Jahr,
der Boden schmiert vom blinden Aschen,
es stinkt, wie ein verbranntes Haar.
Der Kater weckt am nächsten Morgen,
doch weiter geht‘s, bis ‘hin ist‘s weit,
die Freude übertrifft die Sorgen,
Sechs Stunden noch, verrät die Zeit.
Was gibt es bloß, so viel zu feiern?
Was ist im nächsten Jahr so neu?
Lässt sich etwa Glück ergeiern,
wenn man sie ertrinkt, die Scheu?
Wir lauern unklar und verschwiegen,
denn heut, wer weiß, springt Sex heraus.
Im fremden Bett will keiner liegen,
erwachen dort, gefühlt, ein Graus.
Und ist der Schrecken doch geschehen,
erfasst der Spiegel jeder Wand,
wie weit wir gerne alle gehen,
weil Ekel nicht im Wege stand.
Die Traurigkeit kommt nun herein
und wird von Vorsätzen düpiert,
und manch ein Plan erwärmt das Sein,
damit die Seele nicht erfriert.
So viel versprechen wir zu leisten,
nicht noch ein Jahr verschwitzt im Wahn.
Doch Frühs vergessen es die meisten,
verschlafen in der Straßenbahn.
Die neue Runde wird uns quälen,
dann fragen, treu, zum Altjahrstag:
„Wohin des Weges alte Seelen?
Wohin, wenn nicht zur gleichen tat?“
1. Januar 2018
Der Vergleich
Er drängt sich aus Neid und Gelüsten hervor,
verspricht jeden Berg zu erklimmen –
hinauf, nur hinauf zu den Sternen empor,
und ständig den nächsten bezwingen.
Er schlingt wie die Schlange um Werte herum
und ordnet in wohligen Zwängen.
Gewinnen, verlieren – bestimmen sein Schwung
auf töricht bezifferten Rängen.
Er wälzt sich in Drama, Verzweiflung, Verdruss,
entfacht die Verbohrtheit der Menschen,
und breitet sich aus mit Begier und Genuss,
was kann man sich Schöneres wünschen?
In Abscheu ertrunken, erreicht ist sein Ziel,
die Wunden verspricht er zu lecken.
Das lässt ihn bejubeln, wie sehr ihm gefiel,
Bewusstsein zu Boden zu strecken.
Erst atmen, dann fühlen und Sein atmet aus,
klammheimlich so ging es durchs Leben.
Verdrängt, doch dennoch es baute ein Haus,
in das wir uns schüchtern begeben.
Hier ruht es dann schließlich – das Hin und das Her,
„Nie wieder.“, verspricht man verlegen.
Die Seele, gepeitscht von dem Streben nach mehr,
bewahrte die Kraft zu vergeben.
„Ich wünschte, ich hätte es früher gewusst“,
verharrt ein zweifelndes Klagen.
Das Sein, es antwortet klar und bewusst:
„Ich liebe mich. Schluss, mit dem Nagen.“
Was bleibt ist Erkenntnis aus altem Vergleich,
aus glühend kaltem beneiden.
Ich schmeichelte jedem, als wär‘ ich nur weich,
doch lachend – verteilte ich Leiden.
Januar 2018
Der Soldat
Ich wählte den Dienst in zwei kurzen Minuten.
Ich dachte nicht nach – wir waren die Guten,
so hieß es im Lande, so hallte es schrill,
mein Sinn war geboren und los ging der Drill.
Jawoll schon am Morgen, jawoll Kompanie,
jawoll auch beim Schießen, jawoll zur Manie.
Jawoll auf die Würde, jawoll General,
jawoll starr im Gleichschritt, jawoll – überall.
Das Hirn war gewaschen und nah war der Kampf,
gepfercht in den Zügen, betäubt von dem Dampf.
Es ging in die Kälte, die Fahrt war voll Leid,
zerbrochen die Zweifel, gebrochen vom Eid.
Marsch in den Krieg, Marsch ohne Zeit,
die Sinne sind schief, die Wahrheit ist weit.
Die Seele ist taub, doch uns trieben zur Schlacht,
die Spannung, das Kribbeln, der Kick und die Macht.
Die Frauen, sie schrien, die Kinder im Arm,
Raketen und Bomben, dicht, wie ein Schwarm.
Wir gruben uns ein, mit Schaufel und Beil,
die Schüsse in Salven versprachen uns Heil.
Die Wochen vergingen, erstickten im Keim.
Wir waren wie Brüder und niemals allein.
Der Schreck in den Gliedern saß tief und gab acht,
nur Wodka und Lieder bezwangen die Nacht.
Der verbrannte Geruch ließ die Nase nie los,
das blutige Rot, dessen Meer war so groß,
die entstellten Gesichter, die Körper in Fetzen,
das grausame Bild darf nie Ehre ersetzen.
Der Krieg ging verloren, endlos die Schmach,
die Folter, die Kälte, sie hielten uns wach.
Wir waren die Bösen und wurden bekriegt.
Die Guten sind drüben, denn wir sind besiegt.
Nach Jahren Gefängnis ließ man mich frei,
doch Freiheit zerbrach ein Herzen in zwei.
Der Schmerz und der Ekel sind dunkel und schwer,
Verstehen, Vergessen, das kann ich nicht mehr.
Daheim kam die Hilfe, sie hieß Therapie,
mit Pillen und Reden und Monotonie.
Doch Ärzte sind blind und die Heilung ist fern,
denn Krieg zerbricht auch den härtesten Kern.
Die Vase zu kleben, macht niemals mehr ganz,
man sieht ihre Narben, verloren ihr Glanz.
Wie kann man nur glauben, es wird wieder gut,
ohne Wille zu leben – ohne Sinn, ohne Mut.
Trompeten erklingen, die Töne so weich,
die Trauer den Toten, die Tränen sind reich.
Wir Selbst widerstehen dem Mord, seiner Gier,
und keiner versteht – die Opfer sind hier.
Wer weiß, irgendwer schreibt ein Gedicht
und erklärt uns die Anmut einer anderen Sicht:
Denn Tod bringt die Weisheit, die Heilung und lacht,
nur lebende Menschen werden ums Leben gebracht.
Februar 2018
Freiheit
Abscheulich erklingt die laut spöttische Torheit
aus Türmen des Westens, in Hochmut gegossen:
„Nur wir sind das Leben, nur wir sind die Weisheit,
die restliche Welt ist unaufgeschlossen.“
Entwürdigt durch Beten, Islam und die Reinheit,
durch rohes Erdrücken verdunkelter Frauen.
Erreicht ist der Gipfel verzogener Frechheit,
im Glauben sie handeln in Gottes Vertrauen.
Abscheulich die Taten im Namen der Keuschheit,
doch Christen sind Ritter, als Retter geboren,
die Morde, das Saugen, die gierige Geilheit,
ohne himmlische Hilfe ist alles verloren.
Entwürdigt durch Terror, gezielt gegen Gutheit,
mit Waffen und Sprengstoff gefertigt im Ausland.
Zerstört wird ein Weltbild, zerstört wird die Ganzheit,
zerstört wird der schmachtende, ziellose Wohlstand.
Abscheuliche Drohnen zersprengen die Feigheit,
sich grausame Irrtümer einzugestehen,
doch fest steht sie da, die ganz andere Wahrheit,
die keiner im Turme bereit ist zu sehen.
Entwürdigt, abscheulich, in Anmut die Freiheit,
verstrickt in dem quälenden Drama des Lebens.
Was bringt nur das ewige Ringen der Menschheit,
wenn tot sie erbleicht, war die Mühe vergebens.
März 2018
Wer bin Ich?
Ich bin der karge Bettler reicher Straße,
in der die Edlen Kreise dreh‘n.
Gekonnt stolzieren sie vorbei,
gepflegt in hohem Maße,
gequält von Scham – angeblich frei.
Ich bin die Knolle der Familie,
die Kartoffel will ich sein.
Und Karma rührt man –
mit Butter, Salz und Petersilie,
am besten täglich an.
Ich bin der Müllmann jeder Gasse,
orange die Farbe meiner Wahl.
Doch jeder Mensch auf jeder Trasse,
grüßt mich – als wär‘ ich dumpf und fahl.
Ich bin der sanfte Mörder eines Kindes,
das diese Welt nun nicht mehr sieht.
Alle weinen reichlich Tränen, indes
weiß keiner, was in mir geschieht.
Ich bin famos, der Maler der Epoche,
jeder Narr kennt meine Farbenpracht.
Doch jede kolossale Arbeitswoche
hab‘ ich immer nur im Schein verbracht.
Ich bin der graue Wächter bunter Scheine.
Scheine voller Macht und Gier,
die Abscheu legen ringsumher.
Ich sage „Nein“, doch meine
ist sie – und bleibt sie – seit jeher.
Ich bin der weise Meister vieler Leben,
der klar und leise spricht in dir:
„Ins nächste Leben, dorthin
werd‘ ich mich begeben,
bis das Gefühl sagt: Ja, ich bin!“
März 2018
Reichtum
Frühs, mit dem Duft nach gerösteten Bohnen, erwacht der gefolgsame Werks-Legionär,
pünktlich und willens die Welt zu erobern. Die Welt, die ihn treibt zum verzweifelten Dienen,
gierend nach Geldern und Gütern, die immer schon Brauchen verzückten und golden erschienen.
Sein – wurd‘ davor mit dem Kaffee geweckt und betont unentwegt: „Bin doch längst, Millionär!“
Mittags, erpicht seine Pflicht zu erfüllen, erhofft er sich mehr, wenn‘s gut läuft – Funktionär.
Strebsam erhöht er die Taktzahl der Hände, die künftig pedantisch und straff dirigieren,
Rhythmus, Dynamik und Stimmung der Arbeit. Die Stückzahl beginnt er im Kopf zu notieren,
tausendundzehn und noch mehr. ‚Und-noch-mehr‘ ist schon Sein und erzählt: „Bin bereits, Milliardär!“
Abends, erschöpft und verschwiegen, ermöglicht die Zukunft, vor allem das Ziel Pensionär,
Stumpfheit und miesen Verdienst zu ertragen. Zum Glück kann er Bier oder Wein konsumieren,
Stimmung fürs Leben mit Sehnsucht erzwingen, beharrlich von Ruhm und viel Geld fantasieren,
Schwelgen ist schön. Nur das Sein ist vom Atmen schon voll und gesteht: „Bin sogar, Billionär.“
Nachts, wenn ein weiser, behutsamer Traum, die Gelassenheit bringt, ist der Mensch Visionär.
Zeit und Verstehen, Erklären, Begehren, der Wille zu leben, sie alle verrauchen,
zügig im Schlaf. Das Gefühl ist nun deutlich: Es gibt keine Ziele, es gibt auch kein Brauchen,
niemand will mehr. Doch erwacht ist der Kopf und bemerkt unbeirrt: „Wär‘ so gern, Millionär!“
April 2018
Die Ehe
Und wieder gab ich weiches Herz
bis, dass der Tod uns scheidet.
Und wieder fand die Trennung Schmerz –
Ich – Mensch – schien ungeeignet.
Die Zweisamkeit fand keinen Trost,
fand keine volle Stunde –
vielleicht rostet die Liebe doch,
vielleicht noch eine Runde.
Als grausam kalte Zweifel nagten
und Leere zog am Lebenssinn –
versprach – Ich will! – neu festzuhalten,
doch ich ließ los: „Genug! – Ich bin.“.
März 2018
Liebe
Liebe will nichts.
Liebe kämpft nicht.
Liebe braucht nichts.
Liebe strebt nicht.
Liebe gibt nichts.
Liebe stirbt nicht.
Liebe schmerzt nie.
Liebe ist.
April 2018
Getrieben
Boulevard Montmartre à Paris, C. Pissarro 1897
Nie mehr Ruhe, nie erholen,
ich will, ich will, ich will
mich ständig wiederholen.
Wird’s auch mal wieder still?
Nie wird’s still für ‘n Geisteskranken,
ich mach‘, ich mach‘, ich mach‘
mir tausende Gedanken.
Bin ich dabei noch wach?
Nie bewusst sein, nichts beachten,
ich muss, ich muss, ich muss
mein Leben überfrachten.
Stirbt Zwang im Überfluss?
Nie genug, fest peitscht die Eile,
ich brauch‘, ich brauch‘, ich brauch‘
viel – nur nicht Langeweile.
Reicht Atmen etwa auch?
Fühl des Atems wildes Fauchen.
Es zeigt das Sein in
Wollen, Machen, Müssen, Brauchen.
Es sagt still – Ich bin.
April 2018
Dein Gedicht
Schreib dein Gedicht
und kümmer dich nicht.
Sei nicht erpicht,
der Reim ist nie Pflicht.
Schein nur das Licht,
das klar dir entspricht.
Sag deine Sicht,
einfach und schlicht.
Und schreibst du es nicht,
es bleibt dein Gedicht.