Oktober
2019
Wenn harte, schwere Arbeit
unglaublich leicht aussieht –
und großes Augenmerk
die Kleinigkeit verziert,
bemerkt der Mensch die Klarheit –
Der Meister ist am Werk.
Der Meister
Ich wollte mir als Mensch genügen.
Ich wollte streng – in Würde stehn.
Ich wollte nicht im Wahn, Vergnügen,
um immer neue Kicks anflehn.
Ich ging daher bewusst nach innen,
und fiel ins weite, dunkle Nichts.
Ich ließ die Angst das Spiel gewinnen –
Zerstörerin des Gleichgewichts.
Getrieben, einsam, wildes Fluchen –
Wo ist verdammt der große Sinn?
Bespuckt, verarscht von ver- und suchen,
ich finde nichts – Gott sag: Wohin?
Doch niemand hört mich – Beton als Wüste,
verdreckt am Boden – stinkender Urin.
Einzig die Kälte, die höflich grüßte –
wie lange noch – mir selbst entfliehn?
Ein Ton entkam der roten Kehle,
ein zweiter gleich, umarmt die Welt.
Und ich – Ich, Mensch, endlose Seele
weiß nicht, was mich zusammenhält.
Den nächsten Atemzug ergriff die Stille,
den Wimpernschlag die Ewigkeit,
Das dunkle Nichts schwarzer Pupille
erkannte mich. Endlich – war Zeit.
Nun sitz ich hier, allein, gewaschen,
lache sanft in mich hinein –
voll sind sie – die leeren Taschen,
die Dunkelheit, Ich und das Sein.
Oktober 2019
Was will ich?
Ich mach mir Sorgen um die Erde!
Weshalb? – halb trunkenes Geschrei.
Vor Panik blind, betrübt sie sterbe –
für wen ist‘s wohl zuerst vorbei?
Ich will, dass Gott die Menschen heilt!
Wovor? – vor irdischen Gebrechen?
Wird freier Wille nicht erteilt –
sobald die Freiheit droht zu schwächen?
Ich bin für mehr Demokratie!
Wofür? – für was? Was soll das heißen?
Konsumgetriebene Manie?
Sich täglich für Papier zerreißen?
Ich wünsch mir Frieden auf der Welt!
Wieso? – weil Menschlichkeit errötet?
Was ist mit Armut, Gier und Geld,
dem Tod an sich – der alle tötet?
Wenn jetzt noch einer spielt – „Ich will…“,
dann brenn ich ihm die Geige nieder!
Genug vom Müll – Psst! Ruhe! Still!
Hör wieder hin – hör deine Lieder.
Oktober 2019
Der Kuss der Dementoren
Die Mutter fragt es: „Hast du mich vermisst?“
Das Kind sagt „Nein!“, doch hören, will sie nicht.
„Komm her – und gib mir einen Kuss!“ weil tristes
Dasein gierig leben muss.
Verzicht, das gab’s noch nie. Zunächst der Kuss –
dann brav auf ihrem Schoß verharren.
Das Kind, gequält vom kochenden Verdruss,
hält seine Backe hin und schluckt
vom Kloß im Hals erwürgt, als rundgeformte Lippen
saugend seine Fröhlichkeit erdrücken.
Ein Kuss ist meistens nicht genug.
Das Nippen schlürft die Stirn
und will zum Mund vorrücken.
Das Kind springt auf, erneut bereit
nicht kampflos aufzugeben.
Es wischt am Ärmel, schleimig nasses Leid,
der Trotz hält jetzt dagegen.
Zischt der Schlangengruß und grinst zufrieden,
vergessen schon des Kindes Mut,
die Sucht, sie spricht getrieben:
„Das ist die Art zu lieben, Kind, tut gut
sich abzuknutschen. Du bist mein,
wir zwei, wir sind – da kannst du lange fluchen.
Nimm meine Hand, es gibt kein Nein,
Familie klebt!“–
Doch Pustekuchen!
Das Kind, ein Merlin im Gewand,
lässt keine Gnade walten.
Es reißt sich los, braucht keine Hand –
„Dein Ekel-Kuss kannst du behalten!“.
Oktober 2019
Merlin
Wissen
Wissen will beweisen,
dass Wissen alles ist
und schafft in runden Kreisen
differenzierten Mist.
Doch Wissen weiß zu glänzen,
wo Einzelheit verspricht
das Ganze einzugrenzen –
den noblen Preis in Sicht.
Erleuchtung wird zur Enge,
erschöpft im Wissensdrang.
Das Sein ermahnt zur Strenge,
doch Wissen weiß – „Hier lang!“
Und wieder mal verloren,
der Mensch, der Wissen schafft –
schafft neu, weil neu geboren,
gibt altem Wissen – Kraft.
Und Wissen wider Wissen,
erfreut der Wiederwahl,
verbirgt den Zwang gerissen,
den Zwang ein jeder Zahl.
Erzählt wird lang Gelehrtes
des Schubfach-Unterrichts,
erdacht als Wissenswertes,
doch Denken weiß von nichts.
Zu wissen, dass du denkst,
macht nicht das Wissen schlau,
denn Wissen weiß es längst –
keiner weiß genau.
Wenn Wissen nur noch wüsste,
dass Wissen nie vergisst,
dass niemand wissen müsste,
weil Wissen Wissen ist.
Oktober 2019
Die Treidler
Die Wolgatreidler, Ilja Repin 1872
Man zieht und zieht an Endlichkeit –
im Fluss verborgener Betrug,
dass Schritt für Schritt nach Zug um Zug
befreit.
Man zieht nie gleich am gleichen Strang –
der Faden spannt am schiefen Wir,
Geduld zerreißt, bei allen hier,
im Schlamm.
Im Flug zerfetzt der ernste Streit,
denn Leid ist laut und lügt verbissen.
Die Einsicht bricht. Verdammt beschissen –
Wirklichkeit.
Zurück – als Zeit die Wut begrub,
zurück, zu vorher Ausgesetztem –
zurück zum Schritt – voran zum letzten –
Atemzug
Oktober 2019
Aber ich will doch...
Taming the Donkey, Eduardo Zamacois y Zabala 1868
Ich will doch –
Sturheit stürmt, von vorn.
Aber ich will doch –
zeigen, werd‘ ich’s allen.
Ich will doch –
unbändiger Zorn,
aber ich will doch –
überzeugend umgefallen.
Ich will doch,
lässt der Trotz den Fuß aufstampfen.
Aber ich will doch,
jammert Zweifel bitterlich,
ich will doch,
Hände, die zur Faust verkrampfen.
Aber Ich will doch,
Drama schimpft zur Mauer: „Brich!“
Ich will, doch
der Ausweg zeigt zum Neuanfang.
Aber ich will doch,
mich drehen, wenden – komm jetzt, schnell.
Ich will doch,
doch ändern wird sich nichts daran.
Aber ich will doch
den Platz im Pferdekarussell.
Wild im Wollen –
unbedingter Wille will,
will weiterrollen,
immer weiter – still…
Oktober 2019
Die Zukunft
Die Zukunft – schlaues Pferd,
weil sie die Menschen reitet.
Auf links gedreht, verkehrt,
wie Zeit der Welt entgleitet.
Im schärfsten Trab voran,
um jemals zu erreichen –
nur einmal, irgendwann
dem Jetzigen entweichen.
Und weil es nie gelang
dem Nächsten zu entkommen,
zerbrach der Zukunftsdrang –
und jetzt? – Hat jetzt begonnen.