Januar – Februar

2020

Die Verzweiflung

Der Sitz ist steif, gequält vom harten Sessel –
das Rückgrat krumm, verbogen gibt es Halt.
Im kalten Raum erwärmt ein Feuerkessel
den Körper einer trostlosen Gestalt.

Gebrochen heißt, bereit nicht aufzugeben,
als Groll sich störrisch türmt zum Größenwahn.
Und jede Faser eines Körpers hält dagegen,
gefühllos gegenüber tiefster Scham.

Der Hoffnungsschimmer, lange schon verblichen,
verzehrt mit der Erinnerung daran.
Und unzählige Tage, die stets einander
glichen, verbargen nie den Neuanfang.

Januar 2020

verzweiflung
Im Biergarten, Adolph von Menzel 1883
 

Der härteste der harten Kerne
zerbricht betört in tausend Stücke
und alle leisten zur Genüge
und alle scheitern. Wahnsinn. Erde.

Der Blick des Meisters

Sehende, die nicht mehr sehen,
Fühlende, die nicht mehr fühlen –
der Leichtsinn ließ sie untergehen,
die schwerfälligen Wassermühlen.

Tropfend höhlt sich das Geheimnis
aus dem weisen Stein der Alten –
als verteufelte Erkenntnis
Feuer speit, um anzuhalten.

Leer – im Kopf zerreißt die Dauer
einer einzigen Sekunde –
jede zweite, ungenauer,
füllt erneut die volle Stunde.

Im verhüllten Angesicht
scheinen Augen auszukühlen,
doch die Tiefe widerspricht:
Kälte kann erst Wärme fühlen.

 

Januar 2020

Sie sind –
ein vollständiges Wesen,
das wiederholt darauf besteht,
dass ständig etwas fehlt.
Nun wurde mir erzählt,
dass dieser Drang vergeht,
wenn Sie hier weiterlesen.

Sie sind –
ein vollständiges Wesen,
das wiederholt darauf besteht,
dass ständig etwas fehlt.
Nun wurde mir erzählt,
dass dieser Drang vergeht,
wenn Sie zu Ende lesen.

Sie sind –
ein vollständiges Wesen,
das wiederholt darauf besteht,
dass ständig etwas fehlt.
Nun wurde mir erzählt,
dass dieser Drang vergeht,
wenn Sie den Anfang lesen.

Wie lange denn noch?

Schubladen voll von beschränkter Gewissheit
stauen entschlossen die Menschheit hinein.
Waschen im Wahn wird zur einzigen Arbeit –
frisch ist nun alles, gebügelt und rein.

Warnend – bewachen marschierende Stiefel:
Wehe ein Bengel entwischt dem Programm!
Panzer beschützen den eisernen Riegel –
zitternd entweicht monotoner Gesang.

„Halt!“ doch der Schatten erwischt die Verzweiflung –
kniender Anschlag ermächtigt den Feind.
Angst sucht den Trost der verschwommenen Peilung,
Schießen und Müssen sind einsam vereint.

Fremden den Tod – die bewährte Maxime
hält uns gefangen im trauten Moloch.
Rechte und Linke, entzweit in Routine,
fragen sich niemals, wie lange denn noch.

Januar 2020

Silent Tree

Silent –
yet it talks to everyone.
Just because you cannot hear it
doesn’t mean, that it is dumb.

There are other explanations,
there are many other ways.
Hear them – thousand little branches
talk about the olden days.

How the humans never listened,
how they charged – to overrun
every different firm opinion,
for the truth was only one.

Then surprise – the tide was turning,
filling up self-righteousness.
Now the other side was yelling:
“You were wrong and stupid. – Yes!”

Still today – who screams the loudest
is the only one who’s right –
so, the other trees rest soundless
till the deaf ones end their fight.

2 February 2020

Der Grund

Das Eisenwalzwerk, Adolph Menzel 1875

Ich bin – mir sicher, dass ich existiere,
ich weiß, das ist Lebendigkeit.
Die Welt um mich bleibt unbestritten,
einzig der Grund ist schleierhaft?

Egal, der Grund braucht Arbeitstiere –
beackert wird Erträglichkeit –
seit Jahren herrschen raue Sitten,
weil Meinung auseinanderklafft.

Ich will nicht, dass ich Geld verliere,
für Mehr – bin ich zur Qual bereit.
Wir alle haben brav gelitten –
geballt in zäher Willenskraft.

Nur tote Augen – meine, ihre,
vernichtet von Ergebenheit.
Erbärmlich um Erlaubnis bitten
für jeden Schritt der Dienerschaft.

 

20 Februar 2020

Zeit aufzuwachen

Verrückt, die vielen ausgeschlag’nen Stunden,
verleugnet von der Wichtigkeit,
wie häufig muss die Erde sich umrunden,
bis sie anbricht – meine Zeit?

Wie kam ich her auf diesen blauen Stein?
Wer raubt im Schlaf die Wirklichkeit?
Wo geh ich hin, in welche Welt hinein,
wenn Tod bestimmt – es ist so weit?

Doch nein – in diesem Spiel der Mächte,
will nicht ein Einziger die Regeln wissen –
so bleibt Der – der Ungerechte
und ich, ich hab‘ mich durchgebissen.

Wie kleine Kinder, die auf sandigen
Gefilden, emsig ihre Formen bauen.
Und alles doppelt, dreifach festigen,
um sie dann selber umzuhauen.

Emilie im Schlaf, Adolph Menzel 1848

Ein Zeiger urteilt: Alles wichtig!
Voran – es gibt noch viel zu machen!
Es tickt – der Tag ist zahlungspflichtig –
die Nacht vorbei – Zeit aufzuwachen.

20 Februar 2020

Sein

In Massen für das Gute, sie schrien – Revolution! –
auch Ich begann zu kämpfen erdrückt von Aggression.
Der Staat wurd‘ immer reicher, Eliten voller Macht,
am liebsten hätt‘ ich alle auf einmal umgebracht.

Der süße Wunsch nach Rache erschreckte dann mein Herz,
wenn ich nicht bald erwache, dann übermannt mich Schmerz,
denn alle hier sind Menschen, egal, wo sie auch stehn,
wie kann verdammte Kluft – die Menschlichkeit verdrehn.

Ich seh‘ sie nun gebrochen, der Wahrnehmung beraubt –
sie können nicht mehr anders, von Herrschaft leer gesaugt.
Die Seelen waren mutig: „Ich nehm‘ den dunklen Part!“,
die liebevollen Pläne zerschlug die Gegenwart.

Ich kenne ihre Seite, ich kann mich jetzt entsinnen
vor langer Zeit ein König, um Kriege zu gewinnen,
belügte ich das Volk, die Treue der Soldaten
und alles für den Ruhm – der grauenhaften Taten.

Am Ende aller Wege, auch die am Kreuz entlang –
die fürchterlich verletzten den selbstgerechten Gang,
verzeiht das Sein die Schmerzen, die Schmerzen jeder Zeit,
denn alles Licht der Erde war meine Dunkelheit.

 

20 Februar 2020

 

Krieg & Frieden

Das Volk liebt Unterdrückung im Spiel der Politik
und sieht sich als das Opfer des fiesen Bösewichts.
Versunken tief im Drama, bekräftigt von dem Nichts,
versucht es dann mit Freiheit, doch dafür braucht’s den Krieg.

Der König seinerseits, gekränkt von der Empörung,
will Einöde besiegen. Verhasst und ungeliebt,
bewirkt die große Not die Selbstzerstörung.
Gebrochen, unbeirrt, bestimmt er – „Gut, dann Krieg.“

Das Volk beginnt zu kämpfen, denn wer die Weite will,
muss Mauern niederbrechen – der Gräuel braucht ein Ziel.
Die Hoffnung hat’s versprochen, die Freiheit ist bereit
die Herzen aufzufüllen, doch Siege feiern kalt.

Der König, tot am Boden, wird wieder auferstehen,
das Volk, in kühner Freiheit, wird ängstlich untergehen.
Die Weite war zu viel – von Enge auferlegt –
man will zurück zum Spiel – zu dem, was jeder kennt.

Solang auf dieser Erde das Spiel die Fäden zieht,
verwechselt man die Freiheit mit Leiden für den Sieg.
Und weil das Volk, als König, den Schwindel übersieht –
erkämpft es neu den Frieden und schon beginnt der Krieg.

Februar 2020

Mut

Blau – die mutige der Farben
erschöpft am dunklen Firmament –
in tiefer Trauer darben
Massen – bildhaft – abgehängt.

Selbstmitleid beherrscht den Abgrund
beklagender Entmündigung –
der Schmerz erfüllt von Scham und
Tränen der Entschuldigung.

Wir sind hier die Ausgeraubten,
Macht und Geld sind anderswo.
Wir sind die, die alles glaubten –
Gottes Werk brennt lichterloh.

Teufels Beitrag sprengt die Angst,
mit der mutigen Verzweiflung –
während Güte selbstlos trennt –
tanzt er Einigkeit in Teilung.

Wahrnehmung begrüßt das Leben,
legt sich klar zum Morgentau –
unmündiges, neues Streben
starrt zum Himmel – wieder blau.

Februar 2020